Baiersdorf, den 23. Juni 2022

Sehr geehrter Herr Holetschek,

mit einiger Überraschung haben wir die Pressemeldung Ihres Hauses vom 17.6.2022 zum Thema „Prävention“1 zur Kenntnis genommen. In dieser Pressemitteilung werden Sie mit folgenden Worten zitiert:

Die letzten Jahre haben uns nochmal verdeutlicht, wie wichtig Gesundheit für jeden von uns ist. Dabei ist Prävention das A und O. Es besteht kein Zweifel daran, dass eine gesunde Lebensweise die beste Voraussetzung ist, das Immunsystem zu stärken und Krankheiten vorzubeugen.“

Sie haben vollkommen Recht, wenn Sie sagen, dass Gesundheit für jeden von uns wichtig ist. Und natürlich ist Prävention die beste Maßnahme, um Krankheiten zu begegnen. Denn jede Krankheit, die aufgrund präventiver Maßnahmen gar nicht erst entsteht, ist ein Erfolg.

Umso verwunderter nehmen wir zur Kenntnis, dass Sie in Bezug auf Prävention für mehr „Eigenverantwortung“ werben. Unser Ansicht nach ist es natürlich richtig, dass jede und jeder einzelne eigenverantwortlich handeln muss, um die eigene Gesundheit zu erhalten. In besonderen Situationen kommt diese Eigenverantwortung jedoch an ihre Grenzen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Nichtraucherschutz. Aus der Verantwortung für die eigene Gesundheit entscheiden sich viele Menschen dafür ein rauchfreies Leben zu führen. Vor Einführung eines gesetzlichen Nichtraucherschutzes, war dies aber nicht überall möglich. So lange das Rauchen in öffentlichen Innenräumen erlaubt war, konnten sich Nichtraucher nicht eigenverantwortlich in allen Situationen schützen. Hier hat der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen verändert, um den Schutz all derjenigen sicherzustellen, die die gesundheitlichen Risiken durch Verzicht auf das Rauchen reduzieren wollen. Wir stellen also fest, dass Prävention nicht nur in Eigenverantwortung jeder einzelnen Person liegt, sondern auch durch staatliches Handeln unterstützt werden muss.

Ein weiteres Beispiel in diesem Kontext ist die gesundheitliche Aufklärung. Auch hier hat der Gesetzgeber in Bezug auf das Rauchen die Rahmenbedingungen derart verändert, dass durch eindeutige Benennung der gesundheitlichen Risiken und Kennzeichnung der betroffenen Produkte jede Person bewusst mit den möglichen Folgen ihres Handelns konfrontiert wird. Die explizite Darstellung von Krankheiten in Form von Bildern auf den Zigarettenpackungen ist also ebenfalls aufgrund staatlichen Handelns zum Zwecke der Prävention eingeführt worden.

Übertragen wir das vorstehende auf die aktuelle Situation in Bezug auf die SARS-COV-2 Pandemie, so stellen wir fest, dass auch hier eigenverantwortlichem Handeln enge Grenzen gesetzt sind. Vor allem Bereiche, in denen die betroffenen Personen gar nicht eigenverantwortlich handeln können, werden derzeit durch den Gesetzgeber vollkommen vernachlässigt.

Als Eltern von Kindern im Kindergartenalter, als Bürger:innen dieses Landes und als Petent:innen der Sammelpetition „PCR-Pool-Tests in bayerischen Kitas – JETZT!“2 mit knapp 16.000 Unterzeichner:innen haben wir uns in den vergangenen Monaten immer wieder an die Staatsregierung, Sie persönlich und vor allem das Ministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) gewandt. Seit Oktober 2021 bemühen wir uns darum, dass Lolli-PCR-Pool-Tests in unseren KiTas eingeführt werden, um unseren Kindern während der Pandemie endlich die erforderliche Teilhabe und frühkindliche Bildung in einer geschützten Umgebung zu ermöglichen. Denn weder die zeitweilig geltende Testnachweispflicht mit Antigentests auf Vertrauensbasis noch das Förderprogramm des StMAS für PCR-Pool-Tests führen zu einer effektiven Verbesserung des Infektions- und Gesundheitsschutzes in den Einrichtungen vor Ort.

Uns besorgt vor allem die aktuelle Sorglosigkeit, die landesweit in Bezug auf die Pandemie und die weiterhin extrem hohen Infektionszahlen herrscht. Es gibt mittlerweile viele Erkenntnisse, die ein sehr beunruhigendes Bild über mögliche Risiken und Langzeitfolgen einer SARS-COV-2 Infektion zeichnen. Auch wenn die akute Erkrankung derzeit zu einer vergleichsweise niedrigen Zahl schwerer Verläufe führt, zeigen die wissenschaftlichen Analysen weltweit, dass nach einer überstandenen akuten Covid-19 Erkrankung viele verschiedene teils schwerwiegende Langzeitfolgen auftreten.

  1. Long COVID:
    Hierzu gibt es viele wissenschaftliche und medizinische Untersuchungen. Es zeigt sich, dass das Risiko dieser für die Betroffenen mit schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen einhergehenden Erkrankung bei etwa 10-15% nach überstandener SARS-COV-2 Infektion liegt. Dabei ist die schwere der akuten Erkrankung nicht entscheidend.3 4 Auch Kinder und Jugendliche sind mit einem Risiko von ca. 10% nach überstandener SARS-COV-2 Infektion von dieser Erkrankung betroffen.5 Unbestritten ist, dass Long COVID eine erhebliche Beeinträchtigung in Bezug auf die Entwicklung unserer Kinder darstellen wird. Die erfolgreiche Prävention dieser Erkrankung kann nur durch das Verhindern der vorausgehenden SARS-COV-2 Infektion erreicht werden. Aufgrund des erheblichen Risikos für den Erwerb von Long COVID unter den Randbedingungen des aktuellen Infektionsgeschehens ist eigenverantwortliches Handeln als einzige Maßnahme nicht vertretbar. Der Gesetzgeber muss hier zusätzliche Schutzmöglichkeiten umsetzen.

    Was werden Sie in Bezug auf Kinderbetreuungseinrichtungen sowie Schulen in Bayern unternehmen, um den Risiken von Long COVID präventiv zu begegnen?

  2. Herzerkrankungen:
    Das individuelle Risiko einer Herzerkrankung (Insuffizienz, Herzinfarkt, Herzmuskelentzündung …) innerhalb von 12 Monaten nach überstandener SARS-COV-2 I Infektion steigt um etwa 60% gegenüber Personen, die keine SARS-COV-2 Infektion durchgemacht haben. Die Schwere der durchgemachten Infektion hat dabei offenbar einen Effekt: Eine „milde“ Erkrankung erhöht das Risiko aber immer noch um etwa 40% 6 7 8 . Selbst wenn Kinder und Jugendliche in diesem Zusammenhang möglicherweise geringeren Risiken unterliegen würden, besteht weiterhin die Problematik, dass durch den engen Kontakt mit Erwachsenen in Familien und Betreuungseinrichtungen die Weitergabe der Infektion nahezu unvermeidlich ist. Dadurch erhöhen sich grundlegend die Risiken einer Herzerkrankung für Menschen, die engen Kontakt zu Kindern haben. Präventiv kann dieser Problematik nur begegnet werden, wenn das Infektionsgeschehen erheblich eingedämmt wird. Eigenverantwortlich handeln hieße in diesem Zusammenhang, dass Kinder und Jugendliche möglichst keine Schule oder Betreuungseinrichtung aufsuchen sollten, da dort aktuell keine oder nur sehr eingeschränkte Schutzmaßnahmen bestehen. Auch hier ist der Gesetzgeber also gefordert, um Prävention zu ermöglichen.

    Was werden Sie in Bezug auf Kinderbetreuungseinrichtungen sowie Schulen in Bayern unternehmen, um den Risiken von Herzerkrankungen infolge von SARS-COV-2 Infektionen präventiv zu begegnen?

  3. Veränderungen der Gehirnstruktur / Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen Verschiedene Studien haben den Einfluss einer SARS-COV-2 Infektion auf strukturelle Veränderungen des Gehirns untersucht. In einer britischen Studie konnte gezeigt werden, dass eine SARS-COV-2 Infektion zu einem Verlust von grauer Substanz im Gehirn führen kann.9 Sicherlich lässt sich diese Untersuchung aktuell noch nicht verallgemeinern. Aber es stellt für uns doch ein schwerwiegendes Indiz dar, dass mit einer SARS-COV-2 Infektion derzeit noch unbekannte oder nicht vollständig verstandene Risiken in Bezug auf die Gehirnentwicklung einhergehen. Welchen Einfluss dies auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hat, ist aktuell noch nicht abzusehen. Unter diesen Umständen ist Infektionsprävention die einzige sinnvolle und zielführende Maßnahme. Diese muss durch den Gesetzgeber zwingend unterstützt werden, da ein auf Eigenverantwortung zielender Ansatz gerade in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen nicht möglich ist.

    Was werden Sie in Bezug auf Kinderbetreuungseinrichtungen sowie Schulen in Bayern unternehmen, um den Risiken von Entwicklungsstörungen infolge von SARS-COV-2 Infektionen präventiv zu begegnen?

  4. Weitere Folgeerkrankungen Neben den vorgenannten SARS-COV-2 induzierten Risiken bestehen weitere Risiken, die sich unmittelbar und teils mit schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen auch bei Kindern und Jugendlichen zeigen. Hierzu gehören
  • Paediatric multisystem inflammatory syndrome – PIMS10 11
  • Nierenschäden12 13
  • Leberschäden 14 & potentieller Auslöser für Hepatitis bei Kindern 15
  • Diabetes16

Die Bayerische Staatsregierung hat auch im Rahmen der aktuellen Fassung des IfSG Möglichkeiten, um Infektionsprävention in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen zu ermöglichen. Hierzu gehören:

  1. Die Nutzung von sicheren und einfach umzusetzenden PCR-Pooltests
  2. Die Bereitstellung von mobilen HEPA-Filtern zur Luftreinigung (sogenannte Luftfilter)
  3. Die Anordnung zum Tragen einer Infektionsschutzmaske im Rahmen von Hygieneplänen in Kinderbetreuungseinrichtungen
  4. Aktive Aufklärung zu den gesundheitlichen Risiken insbesondere bei Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit SARS-COV-2 Infektionen, z.B. durch Unterrichtseinheiten im schulischen Kontext, Elternabende, Elterninformationen, Kampagnen

Aktuell nehmen wir als Eltern von Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter seitens der Bayerischen Staatsregierung und insbesondere der Ministerien für Gesundheit und Pflege (StMGP), für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) und für Unterricht und Kultus (StUK) keine besondere Anstrengung in Bezug auf notwendige Präventionsmaßnahmen wahr. Als informierte und verantwortungsbewusste Eltern handeln wir bereits so eigenverantwortlich wie wir es unter den gegebenen Randbedingungen können. Allerdings schicken wir unsere Kinder aktuell in im übertragenen Sinne „verrauchte“ Innenräume, in der Hoffnung, dass sie die damit einhergehenden gesundheitlichen Risiken nicht betreffen werden. Das ist ein „Glücksspiel“ mit ungewissem und aus unserer Sicht unverantwortlichem Ausgang.

Herr Holetschek, sie lassen sich in Ihrer aktuellen Pressemeldung mit den Worten zitieren:

Vorsorge ist für mich ein Herzensanliegen. Wir setzen uns mit unserem Bayerischen Präventionsplan daher aktiv dafür ein, Bürgerinnen und Bürger bei ihrer Entscheidung für eine gesundheitsförderliche Lebensweise zu unterstützen, gesunde Lebenswelten zu gestalten und die gesundheitliche Chancengleichheit zu fördern.“

Wenn für Sie also Prävention ein Herzensanliegen ist, dann handeln Sie bitte insbesondere schnell und konsequent in Bezug auf das aktuell schwerwiegendste und weitverbreitete gesundheitliche Risiko unserer Zeit: SARS-COV-2.

Setzen Sie sich bitte dafür ein, dass folgende Maßnahmen zum Schutz vor SARS-COV-2 Infektionen in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen in Bayern so schnell wie möglich flächendeckend umgesetzt werden:

  1. Regelmäßige PCR-Pooltests in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen
    → diese sind nicht „anlasslos“ in einem dynamischen Infektionsgeschehen sondern geben Sicherheit und ermöglichen frühzeitiges Unterbrechen von Infektionsketten. Zudem können insbesondere kleine Kinder sich nicht adäquat selber schützen
  2. Verpflichtender Einsatz von mobilen HEPA Luftfiltern in allen Räumen von Kinderbetreuungseinrichtungen und Klassenräumen bayerischer Schulen
    → die Geräte sind gerade mit Blick auf Herbst und Winter ein wichtiger Baustein, denn unter der aktuell verschärften Energiesituation (russisches Gas) ist ständiges Heizen gegen die Kaltluft durch häufiges Lüften noch viel problematischer als im vergangenen Jahr
  3. Maskenpflicht für Mitarbeiter:innen in Kinderbetreuungseinrichtungen
    → denn kleine Kinder können sich nicht selber durch Tragen einer Maske schützen
  4. Maskenpflicht in allen Schulen für Lehrer:innen und Schüler:innen gleichermaßen
    → denn nur Infektionsschutzmasken helfen, die Verbreitung von Aerosolen in vollbesetzten Klassenzimmern effektiv zu reduzieren
  5. Aktive Aufklärung zu den gesundheitlichen Risiken, die mit (mehrfachen) SARS-COV-2 Infektionen einhergehen
    → FAQs auf staatlichen Webseiten reichen nicht aus. Es muss eine stringente Aufklärungskampagne erfolgen durch Informationen in den Einrichtungen vor Ort – z.B. Elternabende, Unterrichtseinheiten, mediale Kampagnen

Bitte handeln Sie umgehend – präventiv und konsequent – denn die Pandemie ist noch nicht vorbei und die Risiken insbesondere für langfristige gesundheitliche Einschränkungen sind für Kinder weiterhin vorhanden.

Wir stehen jederzeit für einen Dialog zur Verfügung und teilen gerne unsere Erfahrungen mit der Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen wie PCR-Pooltests und Luftfilter in Kindergärten und Grundschulen mit Ihnen. Sehr gerne laden wir Sie hierzu nach Baiersdorf in Mittelfranken ein, da wir gemeinsam mit der hiesigen Stadtverwaltung viele Erkenntnisse zur Praktikabilität der derzeitigen
<Richtlinie für Zuwendungen des Freistaates Bayern zur Durchführung von PCR-Pool-Tests in der Kindertagesbetreuung> gewonnen haben.

Mit hoffnungsvollen Grüßen,

Karoline und Florian W.
Simone V.
Knut T.
Kerstin und Michael R.
Katrin S.
Andrea J.
Cordelia S.
Mareile B.
Verena B.
Anna H.
M. H.



Quellen:

1- https://www.stmgp.bayern.de/presse/holetschek-wirbt-fuer-mehr-eigenverantwortung-fuer-die-eigene-gesundheit-bayerns/

2- https://pcr-pooltests-kitas-bayern.lederer4u.de/wp-content/uploads/2022/01/Petition_Begruendung.pdf

3 – https://www.zusammengegencorona.de/covid-19/long-covid-langzeitfolgen-einer-covid-19-erkrankung/

4 – https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-027l_S1_Post_COVID_Long_COVID_2021-07.pdf

5 – https://www.nature.com/articles/d41586-021-01935-7

6 – https://www.scientificamerican.com/article/even-mild-covid-can-increase-the-risk-of-heart-problems/?amp;text=Even

7 – https://www.news-medical.net/health/COVID-19-and-Heart-Damage.aspx

8 – https://www.science.org/content/article/covid-19-takes-serious-toll-heart-health-full-year-after-recovery

9 – https://www.nature.com/articles/s41586-022-04569-5

10 – https://www.who.int/publications/i/item/multisystem-inflammatory-syndrome-in-children-and-adolescents-with-covid-19

11 – https://dgpi.de/pims-survey-update/

12 – https://pratt.duke.edu/about/news/covid-19-can-infect-and-damage-human-kidney-cells

13 – https://www.nature.com/articles/s41581-021-00487-3

14 – https://www.journal-of-hepatology.eu/article/S0168-8278(20)30294-4/fulltext

15 – https://www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/DON-389

16 – https://www.thelancet.com/journals/landia/article/PIIS2213-8587(22)00044-4/fulltext

17 – https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVV_2231_A_12458/true